kritiken
Gitarren filigran und brausend Tages-Anzeiger, Zürich, 08.12.2009
08.12.2009
Die neue CD des Eos Guitar Quartets überrascht mit musikalischen
Miniaturen von 21 Musikern und Komponisten aus aller Welt.
von Christoph Merki
Wer an Gitarren denkt heute, denkt meist zuerst an E-Gitarren. Nun
besteht aber das Paradox der Gitarre gerade darin, dass sie, die
elektrifiziert leicht zum brüllenden Tier wird, eines der leisesten,
sanftesten, zartesten Instrumente überhaupt ist, wird sie nur akustisch
gespielt. Sollte jemand zweifeln daran? Man nehme in diesem Fall das
neue Album des Eos Guitar Quartet: Wer es hört, dem wird nichts ferner
sein als der Gedanke an die Brachial- und Berserkerklänge so mancher
E-Gitarristen.
Vier akustische Gitarren finden hier zusammen, und obschon sich also
der Klang der Gitarre multipliziert, ist dieses Album keinesfalls eine
Begegnung mit dem musikalisch Dichten, sondern, im Gegenteil, eine mit
dem Filigranen und dem Feinfühligen, dem Distinguierten und dem
Diskreten. Dachte man vordem, dass edel-ätherische Klänge sich vor allem
im Format des klassischen Streichquartetts erfüllen - hier wird man
eines Besseren belehrt: Ein Gitarrenquartett ist vielleicht noch
sublimer.
Seit zwei Jahrzehnten gibt es das Schweizer Eos Guitar Quartet, und
zum Geburtstag haben Marcel Ege, Martin Pirktl, David Sautter und
Michael Winkler eine ambitiöse Idee realisiert: Bei 21 Musikern und
Komponisten aus aller Welt haben sie eine musikalische Miniatur bestellt
zum Thema des anbrechenden Tages ( Eos ist die griechische Göttin der
Morgenröte) - auf der CD «20 +» nun sind die Werke versammelt von
berühmten Gitarristen wie Egberto Gismonti oder John McLaughlin, Ralph
Towner oder Christy Doran; auch Schweizer Komponisten wie George Gruntz
oder Christoph Baumann haben Stücke beigesteuert.
Was hier zuallererst frappiert, ist also die Sanftheit, die
Innigkeit der Klänge: Selbst wenn die Musik vehement pulsiert wie in
Christoph Baumanns brausendem «Boreas Visit», selbst wenn die Musik sich
über alle Höhen- und Tiefenlagen entfaltet wie in John Anthony Lennons
raffiniert aufsteigendem «At the Sound Of Light», selbst wenn sie als
virtuose Übung angelegt ist wie in Michel Camilos überschäumendem «Tango
For Ten» - hochdramatisch will einem das trotzdem nie erscheinen.
Ein Gitarrist mit acht Händen
Anders als bei einem Streichquartett hat man es hier nicht mit
verschiedenen Instrumenten zu tun. Mag sein, dass die einzelnen
Akustikgitarren sich im Klangbild in der Nuance unterscheiden - dennoch
hat man stetig den Eindruck eines einzigen homogenen Organismus. Gerade
in sehr artistischen Partien stellt man sich gern vor, dass hier nur ein
einziger übermenschlicher Musiker am Werk ist, der auf einer irrealen,
überdimensionierten Gitarre mit mehreren Griffbrettern musiziert, diese
mit acht wirbelnden Händen simultan bespielt.
Manchmal wünscht man sich bei diesem Album zwar etwas mehr
instrumentalen Farbenreichtum, eine reichere klangliche Palette. Doch
das monochrome Klangbild hat auch einen immensen Vorteil. Wie
verschieden ist doch das musikalische Denken eines Mahmoud Turkmani von
dem eines Andreas Vollenweider! Das eines Mike Stern von dem eines Georg
Gruntz! All die verschiedenen Musiksprachen auf dem Album ergäben wohl
das unmöglichste Kunterbunt, wäre da nicht das gleichbleibende Klangbild
der Gitarren. Kurzum, im babylonischen Stimmengewirr sprechen hier am
Ende doch alle wieder - eine einzige Sprache.
|